Gunnarshólmi
Schon will die Sommersonne niedersinken,
die noch mit goldrotiger Glut umwallt
des Eyja-Gletschers silberblaue Zinken
Im Osten steht sie dort, die Berggestalt
und kühlt ihr Haupt, so licht und hoheitsvoll
im Quell des Äthers, herrlich-klar und kalt.
Der Wasserfall hält mit dem Felsentroll
laut Zwiesprach, wo die beiden Zwerge sitzen,
das Gold bewachend, das dort liegen soll.
Hier stehn die Tindafjöll mit ihren Spitzen,
den grünen Gürteln und den dunkelblauen
Prachtmanteln; ihre Firnschneehelme blitzen
.
Von ihrer lichten Höhe überschauen
die Hochlandwasser sie, die tief geblaut
herniederflieβen durch die griinen Auen,
wo kleine Bauernhöfe, rings zerstreut,
so traut in Fluren liegen, bunt an Blüten.
Vom Norden her der Hekla-Gipfel dräut.
Eis lagert oben, unten Flammen wüten
in grauser Tiefe, wo in Fesseln, bleich,
nun lang schon Tod und Schrecken lauernd brüten.
Hoch in den Lüften blinken, Spiegeln gleich,
achatne Dächer über schwarzem Saal;
ein Bild erschaust du hier, gar anmutreich:
Vom Markarfljót durchbraust, ein waldig Tal
mit Ackerfeld; den Fluβ entlang erstrecken
die schönstcn Wiesen sich in groβer Zahl;
gleich buntgestickten Teppichen bedecken
die Ufer sie. Die gelben Klauen krallt
schon beutefroh der Aar, der Fische Schrecken;
denn fischreich ist der Flufi, so klar und kalt;
ein Drosselschwarm sich in die Lüfte schwingt
und aus dem Walde froher Jubel schallt.
*
Zwei Rosse, aufgezäumt zur Reise, bringt
geführt man von dem Herrensitze droben,
wohin der Brandung fernes Brausen dringt.
Denn mildes Wetter selbst kann nicht das Toben
der See versöhnen, das auf Eyja-Sand
mit Ráns bestand'gem Weltkrieg angehoben.
Ein Schiff mit schönen Borden liegt am Strand —
vom Schnabel dräuen eines Drachen Schrecken —
die Segel an der Raa, vertaut ans Land.
Entführen soll's zwei Brüder, edle Recken,
auf daβ sie lange nicht mehr oder nie
erschaun der Heimat grüne Rasendecken.
Daβ fort das Paar in fremde Lande zieh',
verbannt und freudlos leb' in künft'gen Tagen:
dies Urteil war gesprochen über sie.
Das herrliche Gewaffen wird getragen
vom Hofe jetzt; man sieht im Abendschein
fort Gunnar mit der Hellebarde jagen.
Auf rotem Zelter sprengt dicht hinterdrein
ein Mann mit blauem Schwerte an der Seite;
man kennt ihn gleich, Kolskegg, den Bruder sein.
So reiten sie hinab die grüne Leite;
schon sind beirn Flüβe sie, und unverwandt
blickt Kolskegg nach dem Sund hinaus ins Weite.
Doch Gunnar schaut noch einmal auf das Land:
Da gilt's ihm gleich, ob auch der Tod ihm werde —
will's das Geschick so — bald von Feindeshand.
„Nie," ruft er, „sah ich schöner dies Stück Erde;
die rote Blume blinkt im gelben Hage,
zerstreut auf breiten Weiden geht die Herde.
Hier will beschlieβen ich die Lebenstage,
die noch beschieden mir. — Ich bleib' im Land!
Leb wohl, mein Bruder!" — Dies ist Gunnars Sage.
*
Gunnar verschmähte Heil an fremdem Strand;
er hat den Tod im Lande vorgezogen.
Es lieβ der Held in grimmer Feinde Hand
sein Leben bald, durch schlaue List betrogen.
Lieb dänkt mir Gunnars Sage, wenn im Sand
ich stehend staune, wie der Macht der Wogen
der Gunnarsholm, so niedrig er auch liegt,
in seinem grünen Schmucke noch obsiegt.
Durch Sand rollt jetzt die Thverá, wo einmal
es Äcker gab, umsaumt von grünen Auen;
des Stroms Verheerung in dem schönen Tal
im Sonnenrot die alten Berge schauen.
Die Zwerge flohn, der Felstroll starb, und Qual
der Not herrscht drückend in den öden Gauen;
doch schirmt den Ort geheimnisvolle Macht,
wo Gunnar umgekehrt trotz seiner Acht.
Poestion, J.C. (1904).