Mutterliebe


Mutterliebe

Eisiger Sturm braust über die Höhn;
vom Berge ertönt ein dumpfes Gedröhn.
Schneewolken jagen und hasten daher.
Schwarz ist die Nacht; dem Auge ist's schwer,
die Spur des Weges zu finden.

Wer ist die Frau, die weinend dort geht,
in Tränen noch schön? Sie irrt wohl und späht;
ein schlafendes Kindlein hatt sie im Arm
und hüllt es gut ein und hütet es warm.
Schon fühlt ihre Kräfte sie schwinden.

Mein Söhnlein, wie schläfst du so ruhig dahin,
du merkst nicht, in welcher Gefahr ich doch bin,
du ahnst nicht das Unheil, das dich bedroht.
Mein gütiger Gott, o hilf in der Not,
hilf meinem unschuldigen Kinde!

Mein süβester Sohn, o schlaf nur in Ruh!
Möcht' auch in der schrecklichen Nacht so wie du
süβ schlummern; mein Kindlein, magst ruhig sein,
es pflegt dich die Mutter, hüllt wärmend dich ein
und schützt vor dem Schnee dich und Winde.

Die Stürme heulen, es wettert und schneit
noch stärker und stärker zur Mitternachtzeit;
schwarzwolkigen Schnee treibt brausend der Föhn
und tobt dahin über Heide und Höhn,
in grausigem Dunkel begraben.

Am nächsten Tage beim Morgenrot,
da fand man die Frau auf dem Eise tot.
Der Winter hatte bedeckt sie sacht
mit seinem Schneetuch; doch freundlich lacht
die Sonne herab auf den Knaben.

Er lebt ja und lächelt, geborgen so gut
in seiner Mutter beschüzender Hut,
warm eingehülllt und so dicht geschmiegt
an sie, die nun blaβ auf dem Wege liegt,
erfroren da drauβen im Freien.

Ja, groβ ist Gottes Barmherzigkeit,
die seligstes Glück dem Leben verleiht :
die Mutterliebe, der Kinder Hort.
Es segne dich immer und helfe dir fort
Gott, der da schenkt das Gedeihen.

Poestion, J.C. (1904).